Donnerstag, 15. Mai 2014

System der Rhetorik

Die fünf Produktionsstadien einer Rede
 
Von der Idee bis hin zum Vortrag sind fünf Schritte (officia oratoris bzw. rhetorices partes; lat.) zu durchlaufen:
  1. inventio: Auffindung der Argumente; wichtigstes Hilfsmittel ist dabei die Topik.
  2. dispositio: Gliederung des Vortrags.
  3. elocutio: die Einkleidung der Gedanken in Worte („Redeschmuck“; lat. ornatus); die sprachliche Gestaltung (Wortwahl, rhetorische Stilmittel, kommunikative Direktion, Satzbau, Pausen).
  4. memoria: Einprägen der Rede für das auswendige Vortragen (Memoria); Auswendiglernen mittels Mnemonik (z. B. durch bildliche Vorstellungen).
  5. pronuntiatio/actio: öffentlicher Vortrag, bei dem stimmliche, mimische und gestische Mittel eingesetzt werden, also sowohl verbal (Lautstärke, Tempo und Pausensetzung, Artikulation, Timbre, Prosodie) als auch nonverbal (Mimik; Gestik; Blick- bzw. Augenkontakt, Physiognomie, persönliche Präsenz, Körpersprache) kommuniziert wird.
 
Redegattungen
 
Aristoteles unterschied in seiner Rhetorik drei Gattungen:
  1. Gerichtsrede (gr. γένος δικανικόν (génos dikanikón), lat. genus iudiciale)
  2. Beratungsrede; politische Entscheidungsrede (gr. γένος συμβουλευτικόν (génos symbouleutikón), lat. genus deliberativum)
  3. Lob- und Festrede (gr. γένος ἐπιδεικτικόν (génos epideiktikón), lat. genus demonstrativum oder genus laudativum)
Während in der Gerichtsrede über Vergangenes geurteilt wird (zum Beispiel: Hat der Angeklagte Herrn XY ermordet?), geht es in der politischen Entscheidungsrede um ein in der Zukunft liegendes Thema (zum Beispiel: Soll Krieg geführt werden oder nicht?). In beiden Fällen aber geht es um eine aktive Entscheidung, die durch die Rede beeinflusst werden soll. Im Falle der Lob- und Festrede dagegen bleibt das Publikum weitgehend unbeteiligt.
In der weiteren Geschichte der Rhetorik wurde diese Gattungstrias normativ verstanden. Erst in der Spätantike wurde sie um weitere rhetorische Textsorten wie den Brief, den Lehrvortrag (Sachrede) oder die Predigt erweitert. In der Sachrede werden dem Zuhörer feststehende Tatsachen nahegebracht. Die Predigt ist dazu da, dem Publikum aus der Bibel (vor allem dem Evangelium) zu erzählen und diese(s) zu erklären und verständlich zu machen.
 
 
Redeteile
 
Die einzelnen gedanklichen Abschnitte einer Rede werden bezeichnet als partes orationis (Teile einer Rede).
  1. Einleitung (exordium/prooemium) – Der Redner versucht, das Wohlwollen des Publikums zu erlangen und seine Aufmerksamkeit sicherzustellen.
  2. Erzählung (narratio) – Darauf folgt eine Schilderung des Sachverhaltes, um den es geht; bei der Gerichtsrede wird hier der Fall erzählt.
  3. Gliederung (propositio) der nachfolgenden Beweisführung
  4. Beweisführung (argumentatio) – Der eigentlich argumentierende Teil der Rede, in dem der Redner für die Glaubwürdigkeit seiner Sache argumentiert (confirmatio). Kann auch die Widerlegung der gegnerischen Argumente umfassen (confutatio).
  5. Redeschluss (peroratio/conclusio) – Schluss: Hier kann z. B. noch einmal an die Emotionen des Publikums appelliert werden.
  
Wirkungsweisen einer Rede
 
Officia oratoris heißen die Wirkungsweisen der Rede:
  • docere et probare (belehren, argumentieren)
  • conciliare et delectare (gewinnen, erfreuen)
  • flectere et movere (rühren, bewegen)
 
Stilhöhen einer Rede
 
Die antike Stiltheorie unterschied v. a. drei Stilebenen für Reden, die teilweise lose mit den Wirkungsweisen verknüpft wurden. Welche Stilebene wann zu wählen sei, war Gegenstand heftiger Debatten, von denen etwa Ciceros Orator Zeugnis ablegt. Cicero plädiert dafür, die Stilebene je nach dem Gegenstand der Rede zu wählen:
  • genus humile oder subtile: schlichter Stil ähnlich der Alltagssprache, arbeitet besonders mit einfacher Argumentation
  • genus medium oder mixtum: mittlerer bzw. gemischter Stil, typisch etwa für den wissenschaftlichen Vortrag
  • genus grande oder sublime: gehobener bzw. erhabener Stil, steht der dichterischen Sprache nahe, arbeitet stark mit Affekterzeugung
 
Monolog und Dialog
 
Für den freien Vortrag (Monolog) nutzt der Redner verschiedene rhetorische Figuren, Thesen, Prämissen und Argumente. Das Argument steigert hier die Prämisse oder These durch eine gezielte Konklusion, mit der der Redner sein Gegenüber zu überzeugen sucht. Durch die Anordnung dieser Elemente in der freien Rede (Steigerung, Reihung, Dialektik etc.) erzeugt der Sprecher Aufmerksamkeit und Spannung beim Publikum.
Im Dialog eines Gespräches gewinnt die Interaktion besondere Bedeutung. Weit mehr als beim Vortrag, der durchaus auch gewisse Interaktionen bilden kann, hat der Redner nun auf die verbalen und nonverbalen Reaktionen seines Gegenübers zu reagieren. Hierbei spielen gerade die körpersprachlichen Signale als Gradmesser der emotionalen Verfassung eines Gesprächspartners eine besonders große Rolle, die mitunter widersprüchlich sein kann. Sind nonverbale und verbale Aussagen unstimmig, spricht man von Inkongruenz. Die Anordnung der rhetorischen Elemente im Dialog hängt also vor allem von der Wirkung ab, die er erzielt.